Meine Fragestellung: In den meisten Darstellungen zur Bedeutung des Walnussanbaus (Juglans regia) in Deutschland wird ohne nähere Angaben bzw. Quellen berichtet, dass die Bestände an Walnussbäumen im Gefolge sowohl des 1.Weltkrieges als auch des 2.Weltkrieges starke Verluste aufwiesen. Denn die Schäfte für Gewehre werden ausschließlich aus Nussbaumholz gefertigt. Der Bedarf muss riesig gewesen sein. Allein die Wehrmacht hat im gesamten Verlauf des 2.Weltkrieges 12 Millionen Soldaten rekrutiert. Hinzu kommen die zahlreichen mit Deutschland alliierten Armeen zahlreicher Nationalstaaten auf den Territorien des ehemaligen Habsburger Reiches. Aber ebenso groß muss der Bedarf der Massenheere im 1.Weltkrieg gewesen sein.
Lediglich in einem Aufsatz zur Hochstammobstkultur in Südbaden wird unter Bezug auf den Tätigkeitsbericht der Badischen Landwirtschaftskammer für das Jahr 1917 berichtet:“ Bei den Walnussbäumen sei wegen der großen Bedarfs an Nussbaumholz für die Waffenfabrikation eine große Lücke aufgetreten. Doch gebe es bereits eine umfangreiche Nachzucht.“ ( dort S.52)1
Wie wurde der enorme Nussbaumholzbedarf für die Waffenfabrikation jeweils sichergestellt? Wurde er durch Marktmechanismen oder staatliche Zwangsmaßnahmen bewerkstelligt? Für den 2.Weltkrieg wäre zu beantworten, ob im besetzten Europa Nussbäume beschlagnahmt und in die Kriegswirtschaft Deutschlands eingebracht wurden.
Erste Quellen zu Zwangsmaßnahmen (Beschlagnahme und Bestandserhebung von Nussbaumholz und stehenden Bäumen durch das Königliche Kriegsministerium<=Preußen>) im Januar 1916 habe ich im Stadtarchiv in Lübeck gefunden. Dort ist auch der Auftrag an eine lokale Schreinerei dokumentiert, 25 000 Gewehrschäfte zu fertigen.
Bislang habe ich noch keine Zeitreihe für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Preise für Nussbaumholz gefunden. Weder bei der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft noch beim Thünen-Insitut für Holzforschung konnte man mir Hinweise auf diese Holzpreise geben.
Da in Deutschland das Verfahren zur Veredelung von Walnüssen erst in den späten fünfziger Jahren Einzug hielt, waren bis dahin alle Nachpflanzungen mit dem Risiko behaftet, minderwertige Nüsse nach fünfzehn Jahren zu gewärtigen. Vielleicht erklärt sich daraus, dass der Walnussbaum zumindest zur Eigenversorgung der Bauern in Norddeutschland an Bedeutung verloren hat und heute eher die Ausnahme ist.
Der enorme Bedarf an Nussbaumholz zur Herstellung von Gewehren in den beiden Weltkriegen muss die Bestände an Walnussbäumen in Europa erheblich gemindert haben. Weitgehend unklar bleibt bei der Erwähnung dieses Sachverhaltes, auf welche Weise diese Anstiege des Bedarfes an Nussbaumholz verfügbar gemacht wurden. Für den Ersten Weltkrieg habe ich inzwischen eine hinreichende Menge an Quellen gefunden, während mir für den Zweiten Weltkrieg Hinweise auf die Beschaffung des Nussbaumholzes für die Fertigung von weit über acht Millionen Gewehren im Zeitraum 1939 bis 1945 fehlen.
Zusammengefasst gilt für den Ersten Weltkrieg, dass zunächst die erhöhte Nachfrage zu stark gestiegenen Preisen geführt hat, worauf die Reichsregierung im Februar 1915 eine Bestandserhebung veranlasst hat. Es folgte eine Bekanntmachung über Sicherstellung von Kriegsbedarf im Juni1915, deren Durchführung strafbewährt war. Bereits am 5. Januar 1916 folgte die sehr detaillierte ‚Bekanntmachung betreffend Beschlagnahme und Bestandserhebung von Nussbaumholz und stehenden Nußbäumen.’ Die Folgen dieser Zwangsbewirtschaftung werden in zahlreichen zeitgenössischen Berichten und späteren lokalen Beschreibungen der Verhältnisse während des Ersten Weltkrieges bestätigt.
Der Wortlaut zur Beschlagnahme ist in Kopie angehängt. Sie galt für Preußen. Es wäre zu prüfen, andere Teile des Reiches diese Anordnung übernommen haben oder ob zum Beispiel Bayern eigenständige Formen der Zwangsbewirtschaftung erlassen hat.
Die Beschreibung des massiven Verlustes an Walnussbäumen findet sich im Tätigkeitsbericht der Badischen Landwirtschaftskammer 1917. Zit.in: Konold, Werner, Hannah Sharaf, Manuel Oelke, Hochstamm-Obstkultur in Südbaden, S.193, in: Konold, Werner, R. Johanna Regnath Hg., Gezähmte Natur Gartenkultur und Obstbau von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Ostfildern Jan Thorbecke-Verlag 2017.
Im Siegburger Kreisblatt vom 12. April 1916 heißt es: „Vermehrte Anpflanzung von Walnußbäumen. Durch den infolge des Kriegs stark erhöhten Bedarf von Nußbaumholz für Gewehrschäfte und die dadurch hervorgerufene Steigerung der Nußbaumholzpreise sind viele Besitzer veranlaßt worden, vorzeitig ihre Nußbäume zu fällen. Diese starke Vernichtung des Bestandes an jüngeren und älteren Walnußbäumen nicht nur aus volkswirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus obstbaulichen Gründen zu beklagen, da eine beträchtliche Minderung der Nußernte zu erwarten ist. Zur Ergänzung der stark gelichteten Nußbaumbestände ist es daher dringend erforderlich, unverzüglich junge Nußbäume in größtmöglichstem Umfange anzupflanzen. Durch einen Erlaß des Herrn Landwirtschaftsministers wurde gleichzeitig bestimmt, daß Neuanpflanzungen von Walnußbäumen durch Zuwendungen aus Staatsmitteln zu unterstützen sind.“
(https://archivewk1.hypotheses.org/tag/gewehrschaft <aufgerufen 4.7.2019>).
In einem Artikel zur Regionalgeschichte des Ostertals (heute zum Saarland gehörig) findet sich der folgende Hinweis:
So beschlagnahmte etwa das stellvertretende Generalkommando des II. Bayerischen Armeekorps im September 1915 den gesamten Wollertrag der deutschen Schafschur und die Wollvorräte der Gerbereien. Damit genügend weiches Holz für Gewehrschäfte zu Verfügung stand, wurden 1916 alle stehenden Walnussbäume beschlagnahmt.“ (https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/Aufsätze/
Kirsch-erster Weltkrieg-ostertal.html <aufgerufen 4.7.2019>)
Dies ist ein Hinweis auf die offensichtlich reichsweiten Eingriffe des Militärs in die Wirtschaft (vgl. Bekanntmachung für Preußen unter 1.).
Im Tagebuch des Lehrers Peter in Pötzen am 2. Januar 2016 wird der Übergang von Marktwirtschaft zur Zwangswirtschaft anschaulich beschrieben:
„In letzter Zeit waren von Aufkäufern die dicken Walnussbäume hier am Orte für sehr viel Geld (80 M – 100 M pro Festmeter) aufgekauft worden und alle Bäume wurden umgemacht. Jetzt sind vom Staat sämtliche Walnußbäume mit einem Mindestumfang von 100 cm beschlagnahmt und sie müssen an die Heeresverwaltung für 60 M pro Festmeter abgegeben werden.“
(www.Geschichte-hessisch-oldendorf.de/Weltkrieg-auf -dem-Dorf.de
<aufgerufen 5.7.2019>)
Werner Schuricht (Jena) hat mir folgende zeitgenössische Quelle zum Thema geschickt <Vielen Dank>:
„In der seltenen Fachschrift "Provinzialsächsische Monatsschrift für Obst-, Wein- u. Gartenbau. - Halle" findet sich im Jahrgang 19(1918), S. 113: Aufruf an alle Nussbaumbesitzer der Provinz Sachsen-Anhalt. Inhalt: Es besteht maximaler Nussholzbedarf durch den Krieg. Die Baumvermehrung muss deshalb steigen, weil der extrem hohe Jungbaumbedarf das Baumschulangebot übersteigt. Um diese anzukurbeln wurde ein Walnuss-Mutterbaum-Standbuch eingerichtet. Besitzer derartiger, geeigneter Bäume sollen sich melden. Kriterien wären u. a.: Nussgröße, Vollkernigkeit, gute Ausreife, Wüchsigkeit und Frosthärte (Winter, Blütezeit) des Baumes. Eine Sachverständigen-Kommission werde die Bäume vor Ort begutachten und u. U. deren behördliche Fällung (!) verhindern. Von diesen Auswahl-Bäumen wolle man dann jährlich eine Teilernte für die Vermehrung erwerben. (Aber der Krieg war glücklicherweise vorzeitig zu Ende!!) In diesem Artikel wird darauf hingewiesen, dass der Dt. Pomologen-Verein auf Bitte der Mitglieder an diese junge Walnussbäume verschickt. (Dt. Obstbauzeitung 1918, S. 195) Die Anzucht dieser Bäume geschehe in Thüringen, besonders durch diese 3 Fachleute: Landesobstbauinspektor Otto Bissmann/Gotha, Stadtgärtner Reinhard/Arnstadt und Schloßgärtner König in Wilhelmstal bei Eisenach. „
Aus dem Walnussdorf Großbundenbach wurden meine Fragen nach dem 2. Weltkrieg von Familie Rapp (Ortsverschönerungsverein) sehr eindeutig beantwortet. (Vielen Dank, auch an Herrn Ritthaler für den Hinweis)
Zum 2. Weltkrieg habe bislang keine einschlägige Quelle zu Verlusten des Walnussbaumbestandes gefunden. Aufgrund der von Hitler offensichtlich lange geforderten sicheren Versorgung der Bevölkerung in der „Heimat“ vermute ich inzwischen, dass der Nussbaumholzbedarf der deutschen Gewehrhersteller im Zweiten Weltkrieg durch Plünderung im besetzten Europa, möglicherweise in Frankreich, das ein bedeutender Exporteur von Walnüssen war und darüber hinaus auch forstwirtschaftlichen Anbau von u.a. Juglans regia betrieben hat, sichergestellt wurde. Herr Seydel berichtet, dass auch die weniger geeignete Rotbuche ersatzweise zur Fertigung von Gewehrschäften verwendet wurde.
Hierzu recherchiere ich französische Quellen und habe eine Anfrage bei den französischen Pomologen laufen.
Für weitere Hinweise, denen ich nachspüren kann, bin ich dankbar.
Dr. Peter Lock
Auf der Koppel 40
D - 22399 Hamburg
Tel.040 6067 1088
elektron. Post: Peter.Lock@t-online.de
1 Konold, Werner, Hannah Sharaf, Manuel Oelke, Hochstamm-Obstkultur in Südbaden, S.193, in: Konold, Werner, R. Johanna Regnath Hg., Gezähmte Natur Gartenkultur und Obstbau von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Ostfildern Jan Thorbecke-Verlag 2017.