Meine Begegnung mit der Pomologie
Ein endlos langer Ausflug im Herbst 1945 mit Leiterwagen zu einem Bauern im vorderen Odenwald, bei dem Äpfel für den Winter erworben wurden. Bis Anfang der fünfziger Jahre gab es diesen sonntäglichen Ausflug zweimal im Jahr. Im Mai zur Baumblüte und Anfang Oktober zum Kauf von Äpfeln. Ende der sechziger Jahre wollte ich meiner Frau im Mai die schöne Baumblüte zeigen, aber die vielen sehr alten Apfelbäume lagen gefällt auf den Wiesen am Waldrand. Sehr viel später habe ich erfahren, dass die Bauern im Rahmen einer sogenannten Marktbereinigung für jeden gefällten Hochstamm eine Prämie erhielten. Da habe ich insgeheim beschlossen, später einmal eine Wiese mit Apfel- und Birnenhochstämmen zu pflanzen.
Anfang der neunziger Jahre habe ich zum ersten Mal das Wort Streuobst gehört und mich nun endgültig um ein Grundstück zur Anlage einer Streuobstwiese bemüht. Die mir von Umweltbehörde schließlich zugesagte Pachtfläche war plötzlich als Erweiterung eines Gewerbegebietes nicht mehr geeignet. Als Ersatz habe ich eine wunderschöne Fläche im Naturschutzgebiet Rodenbeker Quellental mit Pflegauflagen erhalten und habe 1994 die ersten fünfzig Bäume gepflanzt. Da ich außer Kindheitserinnerungen keine Kenntnisse für die Anlage und Pflege hatte, habe ich beraten von der Familie Cordes (Baumschule damals noch in Wedel) als Anfänger das meiste richtig gemacht. Über den Streuobst Rundbrief der NABU bin ich auf den Anfang der neunziger wieder gegründeten Pomologen Verein gestoßen und Mitglied geworden. 2006 erhielten meine Frau und ich den Hanse- Umweltpreis für Anlage und Pflege der mittlerweile prächtigen Streuobstwiese mit Teich.
Auf der Suche nach Literatur, um die Streuobstwiese und Pomologie genauer zu verstehen, halfen die Jahreshefte des Pomologen Vereins. Bücher konnte ich jedoch nur blind aufgrund der jeweiligen Titel bestellen. Ich habe daher angefangen, jedes Jahr einen Büchertisch mit pomologischen Büchern auf den Norddeutschen Apfeltagen zu organisieren, der sehr stark genutzt wurde. Inzwischen hat der Pomologen Verein einen sehr gut sortierten und kommentierten Bookshop geschaffen. Vor sieben Jahren habe ich die Nutzung und Pflege der Wiese aus Altersgrünen an einen Fachmann abgegeben.
Aber als Sozialwissenschaftler habe ich mich weiter mit der Entwicklung des Obstanbaus in Europa beschäftigt und meine Befunde in Artikeln für die Jahreshefte festgehalten. 2017 hat Joachim Reinig eine sehr schöne Publikation zu Obstbäumen in Hamburg veröffentlicht und UrbanPom als weitere Aufgabe für die Mitglieder des Pomologen Vereins angeregt. Seither beschäftige ich mich mit den Möglichkeiten des Beitrages von Obst bei der Schaffung von Grün in städtischen Räumen angesichts des Klimawandels. Da in stark versiegelten urbanen Räumen, zumindest in Europa, die herrschenden Temperaturen längst den Klimawandel vorwegnehmen, wird es darauf ankommen, anstelle vorrangig „gebietsheimischer“ Pflanzen „klimaheimisches Grün“ zu pflanzen. Allerdings ist das weitgehend Neuland, sodass hier dringend geforscht und getestet werden muss. Seit Jahren testet bereits Siegfried Tatschl in Kirchberg am Wagram in Österreich neue Obstsorten, die er weltweit aufspürt, auf ihre Tauglichkeit in städtischem Umfeld.
Bedeutung von Obst für die Entwicklung urbaner Landwirtschaft
Dreiviertel der Menschheit werden in naher Zukunft in Städten leben, deren Ernährung erfordert urbane Landwirtschaft, die Beschäftigung und Einkommen sowie Eigenversorgung der Menschen möglich macht. Urbane Räume müssen weltweit „essbar werden“. Die Pomologie muss hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Das ganze Spektrum Früchte tragender Gewächse muss erforscht und unter Berücksichtigung des laufenden Klimawandels auf Eignung zur Pflanzung im Habitat des urbanen Raumes, das gegebenenfalls entsprechend gestaltet werden muss, zu prüfen. Bei wahrscheinlich vielen essbaren Früchten, die nicht zu den heute vermarkteten Früchten gehören, die Gegenstand der gegenwärtigen Pomologie sind, ist die züchterische Entwicklung, mit dem Ziel neue Nahrungsmittel für urbane Räume zu schaffen, wissenschaftlich voranzubringen. Auch der „Urapfel“ ist, wahrscheinlich aus Kasachstan, in Persien und dann im römischen Reich in über tausend Jahren zu einem bedeutenden Nahrungsmittel veredelt worden. Wahrscheinlich in Klöstern ist dieses Wissen bis zur Renaissance in Europa bewahrt worden.
Geschichte der Pomologie in Europa
In den meist von Mauern umgebenen Gärten des Adels wurden im späten Mittelalter die verschiedensten Obstgewächse als Zierde und als edles Dessert gepflegt. Mit der Renaissance wurde das heute vermarktete Obst als wichtiges Nahrungsmittel erkannt. Die Obrigkeit machte der Bevölkerung häufig die Pflanzung von Obstbäumen z.B. aus Anlass einer Hochzeit zur Pflicht. Da aber die Technik der Veredelung den Bauern noch nicht geläufig war, pflanzten sie Sämlinge, die nur in seltenen Fällen attraktive Früchte trugen. Erst die Anleitung zur Veredelung, häufig durch Pfarrer, von denen wir heute Einige als Pioniere der Pomologie kennen, führte zum bäuerlichen Anbau von Obst zur eigenen Versorgung und lokaler Vermarktung.
Aber den Grundstein zur heutigen Pomologie legte Ludwig, der Vierzehnte, im Garten von Versailles, den wir als grandiosen Park kennen, zu dem aber ein sehr großer Garten gehört, in dem er möglichst frische Produkte, auch zahlreiche Obstsorten, für die Küche des Schlosses anbauen ließ. Eine von Mönchen betriebene riesige Baumschule in Paris versorgte zu dieser Zeit die Gärten des Adels und vermögende Bauern in ganz Europa mit guten Sorten veredelten Setzlingen, während ärmere Bauern mit lokal für gut befundene Bäumen in der Nachbarschaft ihre Unterlagen veredelt haben. Dies führte zu einer riesigen Zahl an Sorten, um deren Verringerung die entstehenden Baumschulen im deutschen Sprachraum zunehmend bemüht waren. Schließlich bildete sich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum der Pomologen Verein, der sich u.a. ebenfalls bemühte, ein überschaubares Sortiment an Apfelsorten durchzusetzen.
Grundlegend für die deutsche Pomologie war vor allem Johann Prokop Mayer, der viele Lehrjahre in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich verbracht hatte und als Hofgärtner des Fürstbischofs in Würzburg sein in Frankreich erworbenes Wissen bei der Gestaltung der Hofgärten einsetzte. Ende des achtzehnten Jahrhunderts veröffentlichte er in Nürnberg zwei von ihm gezeichnete Sortenbücher in deutscher und französischer Sprache, durch die u.a. zahlreiche französische Apfelsorten ihren Weg nach Europa und Deutschland fanden.
Der Anbau von Äpfeln und anderem Obst hat mit der schnellen Entwicklung des Eisenbahnnetzes und dem raschen Wachstum der Städte überregionale Märkte bedient, jenseits der überwiegend regionalen bäuerlichen Lieferung mit Pferdewagen. Apfel- und Obstanbau wurde zu einer Spezialisierung, die ein übersichtliches Sortiment erforderte und mit der Einführung von Halbstämmen den ersten Schritt in Richtung des heutigen plantagenförmigen Anbaus von wenigen schwachwachsenden, lagergeeigneten Sorten mit massivem Einsatz von Agrarchemie und Arbeitskräfte sparender Technologie.
Angesichts des quasi „agrarindustriellen“ Wandels des Obstanbaus haben sich zunächst in England und Frankreich und Anfang der neunziger Jahre auch in Deutschland Vereine gegründet, deren Anliegen es ist, das verschwindende Erbe des bäuerlichen Obstanbaus vor allem mit Hochstämmen auf Wiesen und an Wegerändern mit einer ungeheuren Sortenvielfalt zu bewahren. Besondere Bedeutung erfuhr die Bewahrung und Schaffung von Streuobstwiesen angesichts der dramatischen Vernichtung von Biodiversität durch die zunehmend industrielle Landwirtschaft und Inanspruchnahme von riesigen Flächen für expandierende Städte und Verkehrswege. Streuobstwiesen zeichnen sich durch umfassende Biodiversität aus und sind ein Refugium für Insekten und viele Tiere.
Einige Pomologen vertreten die Ansicht, dass die genetische Vielfalt der Sortenvielfalt sicherstellt, dass man gegen eine totale Krise des Apfelanbaus vergleichbar mit der Krise des Weinbaus in Europa vor über 100 Jahren durch Phylloxera gewappnet ist. Andere Pomologen gehen davon aus, dass die großen Fortschritte der Gentechnologie eine vergleichbare Krise ausschließen.
Klimawandel und urbane Räume
Viele deutsche Städte reagieren auf den laufenden Klimawandel und fördern Entsiegelung in urbanen Räumen, mehr „Grün“ in die Stadt zu bringen und den Abfluss von Starkregen in die Kanalisation zu verhindern und für die Bildung von Grundwasser zurückzuhalten. Für Pomologen ist es eine weitgehend neue Aufgabe, geeignete Obstgewächse in diesen Prozess einzubringen, was dieses neue Grün in der Stadt perspektivisch essbar machen wird. Um ein Scheitern dieser pomologischen Bemühungen zu verhindern, muss der hergebrachte Grundsatz vieler Naturschützer, nur „gebietsheimische“ Gewächse einzubringen, überwunden werden. Angesichts des Sachverhaltes, dass die Temperaturen in urbanen Räumen deutlich höher sind als im ländlichen „gebietsheimischen“ Habitat, müssen Gewächse gewählt werden, die „klimaheimisch“ sind, um ein mittelfristiges Scheitern der heutigen Grünpflanzungen zu verhindern.
Wandel der globalen Landwirtschaft
Die weltweit erwerbswirtschaftlich orientierte landwirtschaftliche Produktion ist im Gefolge hoher Subventionen, vor allem in Europa und den Vereinigten Staaten, und Protektion neoliberal ausgerichteter politischer Eliten zu einer Anlagesphäre für renditeorientiertes Finanzkapital geworden. Die wertvolle Ressource Boden wird langfristig vernutzt, deren Wiederherstellung, wenn sie überhaupt möglich ist, wird mehr als hundert Jahre benötigen.
Die Landwirtschaft wird immer weniger (klein-)bäuerlich, sondern zunehmend finanzkapitalistisch dominiert. Ländliche Räume, die großmaschinelle Bearbeitung erlauben, werden zu „Freiluftindustrien“, die renditeorientiert die Ressource „Boden“ „vernutzen“. Sie haben keine langfristige Strategie, die Anbau mit dem Ziel betreibt, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.
In der Regel ist die Produktion auf den globalen Futtermittelmarkt ausgerichtet. Die größtmögliche Nutzung der Fläche für den Anbau führt zur völligen Zerstörung der ländlichen Biodiversität, Lebensräume für Insekten und Vögel verschwinden, außerdem wird produktivitätsorientiert Agrarchemie eingesetzt und werden dank modernster Technik viele Arbeitskräfte ersetzt, sodass weniger Einkommen im ländlichen Raum verfügbar werden. Städtische Räume werden daher zu Fluchträumen für ländliche Fauna und Botanik, soweit sie im wärmeren Stadtklima gedeihen. Aber auch die in der landwirtschaftlichen Produktion freigesetzten Menschen suchen eine neue Beschäftigung in Städten.
Die globale landwirtschaftliche Besitzstruktur erfährt gegenwärtig eine rasante Veränderung, da Landbesitz aktuell als ausgezeichneter Bereich für Anlagekapital sehr erfolgreich propagiert wird. Eine gerade veröffentlichte Studie eines argentinischen Forscher*Innen Teams unter Leitung von Luciana Rolón dokumentiert die finanzkapitalistisch getriebene Konzentration von Landbesitz weltweit. Dieser Studie zufolge verfügt ein Unternehmen mit Sitz in der Öl exportierenden Golfregion bereits ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche in Simbabwe.
Die in der Folge stattfindende „Industrialisierung“ der Landwirtschaft wird sich an zahlungsfähiger Nachfrage auf dem Weltmarkt orientieren. Das bedeutet hauptsächlich Futtermittel zur Fleischproduktion in Massentierhaltung, sowie Produkte für industrielle Fertiglebensmittel und „Kolonialwaren“ für kauffähige Nachfrage überwiegend in hoch entwickelten Ländern, denn die große Mehrzahl der Menschen verfügt über keine hinreichende Kaufkraft für diese Produkte. Allein der Fleischkonsum einer Minderheit der Weltbevölkerung beansprucht 50 Prozent der weltweit produzierten Getreide und 90 Prozent der weltweit produzierten Soja. Eine rasche Änderung der aktuellen Agrarstrukturen scheint wenig wahrscheinlich.
Die sich weltweit ausbreitende „Freiluftindustrie“ auf ländlichen Agrarflächen arbeitet mit modernster Technologie, viel Dünger und Agrarchemie, aber geringem Arbeitseinsatz (=Beschäftigte). Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität im ländlichen Raum spielen keine Rolle. Es geht um eine hohe Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Die Wiederherstellung von Bodenfruchtbarkeit erfordert Jahrzehnte. Die Boden- und Pachtpreise steigen sehr stark. Traditionelle Bauernbetriebe können nicht länger konkurrieren und müssen ihren Betrieb aufgeben.
In Indien würde die Rationalisierung und „Modernisierung“ der Landwirtschaft mit dem Ziel globaler Wettbewerbsfähigkeit 500 Millionen Menschen arbeitslos machen, die auf der Suche nach Arbeit und Einkommen in städtische Räume wandern würden.
Geschichte der Ernährung und Landwirtschaft
Evolutionsgeschichtlich dominieren Wälder und die Vorfahren des „Homo sapiens“ überwanden zunächst ihr Leben in Bäumen und entwickelten als Ergänzung zu Jagd und Sammeln im Wald einfachen Ackerbau. Tierhaltung fand zunächst im Wald statt, auch das Futter bei Stallhaltung wurde überwiegend im Wald geerntet. Die bäuerliche Stallhaltung behielt sehr lange die Nutzung von Futter bei, das von Hecken und Bäumen gesammelt wurde. Die langsame Entwicklung von Ackerbau ist verknüpft mit einer Abnahme des Waldes als Quelle der Futter- und Nahrungsmittelbeschaffung. Entscheidend war der Anbau von Getreide und Weideflächen, die die Futterquelle Wald für die Tierzucht abgelöst haben.
Prägend für den heutigen landwirtschaftlichen Anbau war eine kontinuierliche Verbesserung des Saatgutes. Zu Luthers Zeiten hat ein Saatkorn etwa vier Getreidekörner ergeben. Durch kontinuierliche Selektion des Saatgutes und schließlich durch künstlichen Dünger und wissenschaftliche Saatgutoptimierung sind die Erträge des Getreideanbaus (Weizen, Roggen, Gerste, Mais, Reis u.a.m.) heute enorm. In den siebziger Jahren glaubte man das globale Ernährungsproblem durch neu entwickelte sehr viel produktivere Reissorten zu lösen. Ein Landwirt in Europa hat z.B. heute die Wahl zwischen 62 Sorten Weizensaatgut für unterschiedliche Verwendungen.
Die enormen Produktivitätsfortschritte des landwirtschaftlichen Anbaus, nicht nur bei Getreide, waren eine Voraussetzung für das beschleunigte Wachstum der Weltbevölkerung seit der Renaissance.
Gegenwärtige Tendenzen der Ernährung der Weltbevölkerung
75 Prozent der Weltbevölkerung werden in naher Zukunft in Städten leben, vor allem in Megastädten, wie zum Beispiel in Afrika. Die gegenwärtige globale Landwirtschaft wird die Menschen in diesen Städten nicht ernähren, denn es fehlt ihnen an Einkommen, mit dem sie zu Käufern der landwirtschaftlichen Produktion werden könnten.
Die weltweiten landwirtschaftlich nutzbaren Flächen können nicht mehr wesentlich erweitert werden. Hinzukommt dass zunehmend Flächen eingeschränkte Bodenfruchtbarkeit haben werden, da sie gegenwärtig profitorientiert intensiv mit Agrarchemie genutzt werden. Um zwei Drittel der Menschheit in den Megastädten zu ernähren, ist Selbstversorgung in urbanen Räumen und urbane Landwirtschaft vor Ort für Ernährung und Beschäftigung geboten. Diese Bereiche müssen zukünftige Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit werden. Forschung muss darauf gerichtet werden, wie diese Ziele mit welchen Pflanzen bzw. Gewächsen bei entsprechender urbaner Gestaltung erreicht werden können. Was in fünfhundert Jahren an Verbesserungen des landwirtschaftlichen Saatgutes erreicht worden ist, gilt es jetzt für den Anbau in urbanen Räumen von früchtetragenden Gewächsen mit Hilfe moderner Forschung in wenigen Jahren zu leisten.
In einer kenntnisreichen Studie aus dem Jahre 2005 zur Bedeutung von Bäumen für die globale ökologische Entwicklung beschreibt der britische Forstwissenschaftler den Entwicklungsgang der Menschen vom Waldbewohner und -nutzer zum Landbauer und Weidenutzer. Zunächst durch Saatgutselektion, dann durch Einsatz von Düngemitteln und schließlich durch Forschung konnte die Produktivität, vor allem der Getreidearten enorm gesteigert werden und die Ernährung einer in der Folge stark wachsenden Weltbevölkerung mehr schlecht als recht sichern.
Bei baumartigen Gewächsen hingegen hat es keinerlei derartige Bemühungen gegeben, wenn man von den wenigen Obstarten absieht, die Teil des Lebensmittelkonsums einkommensstarker Schichten vorwiegend in entwickelten Industrieländern geworden sind, aber inzwischen zunehmend auf überwiegend sterilen Flächen mit abnehmender Zahl der Beschäftigten angebaut werden. Daher ist der Fortschritt, der bei Getreiden in fünfhundert Jahren erreicht wurde, bei allen, Früchte tragenden, baumartigen Gewächsen durch intensive Forschung in wenigen Jahrzehnten anzustreben, soweit sie sich als Nahrungsmittel eignen. Für derartige Gewächse in häufig sehr verschiedenen Wuchsformen finden sich in urbanen Räumen viele Möglichkeiten des Anbaus, der die Böden schont und zudem klimatisch vorteilhaft ist.
Produktion zur Ernährung der Menschen vor Ort in urbanen Räumen erlaubt keinen Aufschub, denn eine völlige Umstellung der aktuellen Agrarproduktion ist ohne eine Ernährungsumstellung der im globalen Maßstab privilegierten Minderheit, die Fleisch aus Massentierhaltung mit der entsprechenden Futtermittelversorgung nicht möglich. Die kann, wenn überhaupt, nur sehr langfristig erreicht werden, damit die Agrarproduktion wieder auf die Versorgung der gesamten Weltbevölkerung ausgerichtet wird und nicht nach der aktuellen zahlungsfähigen Nachfrage für Futtermittel und Fleisch, industrielle Hersteller von Fertiggerichten und „Kolonialwaren“ für einkommensstarke Nachfrage überwiegend in hoch entwickelten Ländern.
Die gegenwärtige stark auf Futtermittel orientierte globale Landwirtschaft könnte man als Agrarimperialismus der privilegierten Menschen bezeichnen, die als Konsumenten tierischen Eiweißes aus Massentierhaltung die gegenwärtige Struktur weltweiter Agrarproduktion stützen und einkommensschwache Bewohner der rasant wachsenden urbanen Räume, in die sie auf der Suche nach besserem Leben fliehen, in ihrer Not belassen.
Was kann in Hamburg getan werden?
In den Jahresheften des Pomologen Vereins berichten Mitglieder seit vielen Jahren über ihre Erfahrungen mit dem Anbau von Früchten, die nicht zum üblichen Sortiment der Angebote in Supermärkten gehören und teilweise vom zunehmend wärmeren Klima in Deutschland profitieren. Für diese Früchte lässt sich auch in Hamburg Raum finden und gegebenenfalls schaffen. Eine Auflistung von Beiträgen in den Jahresheften zu „Wildobst und seltenes Obst in den Jahresheften“ von Sabine Fortak im Jahresheft 2024 (S.131) dokumentiert, dass pomologisches Engagement sich schon längere Zeit mit den Folgen des Klimawandels und die Eignung neuer Obstsorten beschäftigt, ohne die Bewahrung alter Sorten zu vernachlässigen.
Zu wünschen wäre die Anlage eines öffentlichen Mustergartens, der die Vielfalt seltenen Obstes anschaulich macht und zur Nachahmung im eigenen Wohnumfeld anregt. Eine Anregung aus Singapur im Umgang mit Baugenehmigungen, um die Wirkung von Versiegelung durch Begrünung zu kompensieren, wäre auch in Hamburg klimapolitisch zielführend. (Quelle: Meine Buchnotiz https://www.peterlock.org/buchnotiz-wild-cities).
Anhand einer innovativen Bewertungsformel des Verlustes von offenem Grünland durch Flächenversiegelung bei Bebauung wird eine Genehmigung an die Auflage geknüpft, durch Begrünung des geplanten Gebäudes mindestens den Verlust von offenem Boden zu kompensieren. Ein vertikal und horizontal begrüntes Hochhaus mit vielen Stockwerken in Singapur hat diese Auflage mit zu 1100 Prozent erfüllt. Die nachträgliche umfassende Begrünung eines großen Parkhauses hat die Innentemperatur um 18 Grad verringert. Optimal begrünte Hochhäuser in Singapur benötigen in diesem tropischen Raum kaum technische Klimatisierung. Auf grünen Dächern wird u.a. erfolgreich Landwirtschaft betrieben, aber es gibt auch schattige Ruhezonen.
Städtische Wärme- oder Hitzeinseln sind die Folge umfassender Versiegelung. Mit der Auflage jede Versiegelung von „Grünland“ durch „Begrünung“ zu kompensieren, würde die Entwicklung von „Hitzeinseln“ gemindert bzw. verhindert. In historisch gewachsenen Innenstädten mit umfangreicher Altbausubstanz wird es häufig nur schwer möglich sein, durch nachträgliche Begrünung die versiegelte Fläche vollständig zu kompensieren. In solchen Fällen wäre eine zweckgebundene Abgabe zu erwägen, mit der umfangreiche Begrünung von Objekten in öffentlichem Eigentum und zum Beispiel das Pflanzen von Bäumen im Quartier finanziert werden kann. Auch die Genehmigung von Einzelhäusern einschließlich weiterer versiegelter Flächen auf dem gleichen Grundstück ist an die Schaffung entsprechender zusätzlicher Begrünung zu binden. Versiegelte Parkplätze (oder besser „Stehplätze“) auf öffentlichen Flächen sind zur Finanzierung der Schaffung von entsprechender Begrünung entsprechend zu bepreisen. Von Singapur kann man in Europa lernen, wie man städtische Räume angesichts des Klimawandels umbauen muss, um die häufig schlechte Wohnqualität angesichts des Klimawandels wenigstens zu erhalten, aber möglichst zu verbessern.
Literatur (Auswahl, die die Notwendigkeit urbaner „Landwirtschaft“ beleuchtet.)
Baysse-Lainé, Adrien; Florence Nussbaum, Protéger les terres Les géographes s’engagent, Paris CNRS Éditions 2024, 118 Seiten
Fitch, Chris, Wild Cities – Discovering New Ways of Living in the Modern Urban Jungle, William Collins, HarperCollinsPublishers London 2025, 408 Seiten
Gaillardet, Jérôme, La Terre habitable ou l’épopée de la zone critique, Paris La Découverte 2023, 254 Seiten
Goode, David, Nature in Towns and Cities, London William Collins Book 2014, 418 Seiten
Küster, Hansjörg, Geschichte der Landschaften in Mitteleuropa, Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, München C.H.Beck 2010 4.vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Kolling, Christian, Wälder in Bewegung Eine Reise durch 100 Jahre Wald- und Klimazukunft, München oekom verlag 2024, 162 Seiten
Laufmann, Der Boden Das Universum unter unseren Füßen, Bonn bpb 2020, 190 Seiten
Legendre, Nicolas, Silence dans les champs – Système agro-industriel: violence et omerta Sept ans d’enquête en Bretagne, Paris Flammarion 2023, 344 Seiten
Metzger, Joscha, Urban Gardening, Seite 244-249, in: Bernd Bellina, Matthias Naumann, Anke Strüver (Hrsg.), Handbuch Kritische Stadtgeographie, Münster Verlag Westfälisches Dampfboot, 254 Seiten
Reichholf, Joseph H., STADTNATUR Eine neue Heimat für Tiere und Pflanzen, München oekom verlag 2023, 176 Seiten
Rolón, Luciana et al., Lords of the Land, Transnational Landowners, Inequality and the Case for Redistribution, https://www.fian.org/files/is/htdocs/wp11102127_GNIAANVR7U/www/files/Lords_Land_Fian_20250602_fin.pdf
Tudge, Colin, The Secret Life of Trees, London Allen Lane imprint Penguin Group 2005, 452 Seiten
Wilson, Ben, Urban Jungle – Wilding the City, Jonathan Cape London 2023, 285 Seiten
Wood, Paul, London’s Street Trees A Field Guide to the Urban Forest, London Save Haven Books 2024 3rd edition, 240 Seiten